Ich komme aus einer altehrwürdigen Hansestadt, der einzigen hessischen Hansestadt, um genau zu sein, und verbrachte weitere glückliche Jahre in Bremen, der wohl zweitschönsten Hansestadt. Hamburg war lange eine meiner absoluten Lieblingsstädte und eine meiner liebsten Freundinnen wohnt heute in Rostock. Ich bin also durch und durch Hanseatin im Herzen, egal wo ich wohne.
Zu meinem vorletzten Geburtstag bekam ich eine Eintrittskarte für das Hansemuseum in Lübeck geschenkt. Da bin ich tatsächlich etwas ausgeflippt, ob dieses perfekten Geschenks für mich. Dazu bekam ich auch noch die Bahnfahrten und zwei Übernachtungen als Gesamtpaket. Losgehen sollte es direkt im neuen Jahr. Grandios! Aber die Wochen zwischen meinem Geburstag und Neujahr können sehr langsam vergehen, auch wenn man sie durch die Lektüre des passenden Reiseführers zu beschleunigen sucht.
Als Kind war ich einmal kurz in Lübeck, gefühlt auf der Durchfahrt (wobei ich mich heute frage: Von wo nach wo denn, bitte? Dahinter lag doch damals die Grenze, wie ich inzwischen verstanden habe). Ich erinnere mich, das Holstentor, das ich schon vom Immenhof aus dem Fernsehen und von den Schokobutterkeksen kannte, erst aus dem Auto und dann noch einmal von Nahem gesehen zu haben. Aber das war es dann auch schon fast mit meinen Erinnerungen an die Stadt. Lübeck war mir seitdem zu einem fast mystischen Ort geworden, der so nah lag, dass ich dort offenbar niemals wieder hinreisen konnte, weil es keinen Anlass zu geben schien.
Doch dann war es soweit: Lübeck! Die ganze Fahrt in den Norden über war ich abgebrühte Weltreisende hibbelig und aufgekratzt. In Lübeck angekommen gingen wir vom Bahnhof aus zu Fuß den kurzen Weg zur Innenstadt – und schon stand ich wieder vor dem Holstentor. Beruhigt stellte ich fest, dass die Erinnerungsbilder ziemlich gut zu den Realitätsbildern passten, auch wenn mich das Holstentor diesmal im nachweihnachtlicher Dämmerung statt im Sommersonnenlicht begrüßte. Im Hotel angekommen, bekam ich ein Upgrade-Zimmer mit Ausblick auf den Turm der Marienkirche. Lübeck empfing mich Hanseatin ganz offensichtlich mit offenen Armen.
Und es enttäuschte mich auch in den nächsten Tage nicht: Gleich am nächsten Morgen verliebte ich mich in die Marienkirche mit ihrer hohen hellen Himmelsdecke und den Geschichten, die sie in ihren Ecken und Winkeln erzählte. Bei den Streifzügen durch die wunderschöne Altstadt entdeckte ich enge Gassen mit Gibeln in lübscher Bauart, hanseatischen Schick in kleinen Details und den ganz normalen Alltag der Bewohner*innen. Die verkappte Germanistin in mir verweilte ehrfürchtig am Haus der Manns, an dem ich bestimmt die Buddenbrocks hätte ein- und ausgehen sehen können, wenn ich nur ein bisschen die Augen zusammengekniffen hätte.
Doch eigentlich hatte ich ja gar keine Zeit zu verbummeln: Ich wollte ja schließlich ins Hansemuseum! Zum Glück lag so vieles Wundervolles auf dem Weg und auf den Umwegen dorthin – und das Museum hat bis zum Abend geöffnet, so dass ich das Gefühl bekommen habe, das Beste aus allen Welte mitnehmen zu können.
Das hochmoderne, interaktive Hansemuseum ließ mich durch 800 Jahre europäische Hansegeschichte wandeln – und dabei traf ich natürlich auch auf meine Heimatstadt. Ich bestaunte, wie winzig die ersten Koggen waren, wohnte der Sitzung des Hansetags von 1518 bei, verkleidete mich nicht als eine Kauffrau des 18. Jahrhunderts, bewunderte alte Münzen ebenso wie eindrucksvoll gesiegelte Schriftstücke – und sah hilflos dabei zu, wie die Bedeutung der Hanse in den Jahrhunderten schwand. Danach hatte ich mir ein fettes Abendessen verdient!
Am nächsten Tag stattete ich der winterlichen Ostsee einen Besuch ab und freute mich riesig über das Wiedersehen. In Travemünde spazierte ich den Klippenweg am Strand entlang, kletterte über abgestürzte Bäume, füllte meine Lungen mit Meerluft und die neue Jahresliste meiner Vogelsichtungen mit den ersten Seevögeln des Jahres.
Zurück in Lübeck erkundete ich bis zur Dämmerung die Gassen der Stadt und besuchte dann zwei Museen, die Lübecker Ikonen gewidmet sind und die man nicht verpassen sollte: das Marzipanmuseum und das Willy-Brandt-Haus.
Der letzte Zug brachte mich spätabends satt und voller neuer wunderbarer Erinnerungen zurück in die Stadt, die nach einem kurzen Intermezzo bereits 1572 wieder aus der Hanse ausgetreten ist. Mensch, Göttingen! Und sind wir mal ganz ehrlich: Trotz prunkvollem Rathaussaal mit den Wappen von anderen Hansestädten geht Göttingen das hanseatische Flair heutzutage so völlig ab. Aber Universitätsstadt ist ja auch ganz okay.
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