Abenteuerlicher Roadtrip zum Nordpol Vietnams

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„Vergiss Sapa, fahr nach Hà Giang!“ hatte man mir gesagt. Und da stand ich nun mit meinem Leihmotorrad in der Wildnis, auf halben Weg einen Berg hinauf und ohne richtige Straße. Es war Tag eins meiner Tour zum Nordpol Vietnams, wenige Stunden nach meiner Abfahrt aus Hà Giang und schon steckte ich mitten im Abenteuer.

Der Teer hatte sich langsam, fast unmerklich verabschiedet. Erst fehlten nur ein paar Meter Asphalt, dann ein größeres Stück. Kein Grund zur Panik, hatte im Reiseführer gestanden. Und im Internet hatte ich gelesen, dass die Straßen hier oben im Norden Vietnams alle sehr ordentlich seien. Und der Asphalt kam ja auch wieder. Nicht für lange, aber immerhin.

Bevor ich richtig begriffen hatte, dass jetzt bis zum nächsten Ort kein Asphalt mehr wiederkommen würde, war ich schon so weit, dass umkehren keinen Sinn mehr machte. Außerdem hatte ich ein paar fiese Stellen mit losen Gesteinsbrocken überwunden, auf die ich keinen Bock mehr hatte, und schon gar nicht bergab. Also wählte ich das unbekannte Grauen vor mir.

Wer sich nun deutsche Feldwege vorstellt, dem kann ich nur sagen: Nein! Zwei Bachquerungen, ein mittelgroßes und zwei kleine Geröllfelder sowie etliche Höhenmeter später erkannte ich, dass es eine gute Entscheidung gewesen war, nicht umzukehren, denn die Abfahrt auf der anderen Seite des Passes war weniger felsig. Bei meinem Roller, der nicht auf solche Touren eingestellt war, zeigte sich inzwischen ein Riss in der frisch geflickten Lenkerverkleidung.

Als ich nach 33km, die mich fünf Stunden gekostet hatten, die Asphaltstraße wieder erreichte, schwor ich mir, nur noch auf den Straßen zu bleiben, die eine Nummer auf der Karte hatten. Trotzdem war es ja eigentlich ganz unterhaltsam gewesen, die eigenes Grenzen zu überwinden. Danke, Google, der mir diese Strecke als kürzeste zu meinem Ziel empfohlen hatte, für dieses Abenteuer!

Noch vor der Dunkelheit erreichte ich ein tolles Homestay bei einer Familie, die zur Gruppe der Schwarzen Thai gehört. Der Sohn sprach sehr gutes Englisch und das leckere, lustige Abendessen mit der Familie und zwei anderen Reisenden aus Singapur war eine wunderbare Krönung dieses abenteuerlichen Tages. Wir saßen zusammen auf dem Boden, aßen, redeten und lachten.

Am nächsten Morgen folgte ich der Hauptstraße grob in Richtung Norden. Die beiden Singapurianer hatten mich mit einer Karte ausgestattet, auf der meine gestrige Piste als „more offroad than road – avoid!“ eingetragen war. Das machte mir Mut, dass die anderen Wege, die mit „amazing“, „stunning“ und „great“ markiert waren, tatsächlich großartig waren. Und wie Recht die Karte hatte!

Nachdem ich meinen Motorradlenker notdürftig hatte flicken lassen, erklomm ich den Ma Pi Leng Pass, der hier oben als Highlight unter Giganten gilt. Und er enttäuschte nicht!

Furchtbar fand ich hingegen Dong Van, den größten Ort im hohen Norden und gleichzeitig eine Hölle des vietnamesischen Tourismus – trotz einer kleinen hübschen Altstadt. Sobald ich auf der Hauptstraße anhielt, um auf meine Karte zu schauen, stoppte ein Moped neben mir und ich wurde in ein Hostel eingeladen. Der Wirt meines angestrebten Homestays klopfte mir mit Alkoholfahne auf die Schulter und ich flüchtete aus Dong Van. Ich fand zum Glück ein schickes neues Resort außerhalb, in dem ich dank geschickter Verhandlungen ungestört zum gleichen Preis wie im Hostel in der Stadt nächtigen konnte.

Am nächsten Tag zog es mich zum vietnamesischen Nordpol, einem beflaggten Turm kurz vor der Grenze, von dem aus ich weit ins Land schauen und nach China hinüber winken konnte. Weil die Gegend hier oben Grenzgebiet ist, musste ich vor Reisebeginn übrigens eine Reiseerlaubnis einholen und bezahlen – die danach leider nie wieder jemand sehen wollte.

Viel interessanter als den Nordpol fand ich aber die Menschen, der verschiedenen ethnischen Minderheiten, denen ich hier im Norden jeden Tag begegnete. Viele der Frauen tragen noch ihre traditionellen Röcke und Kopfbedeckungen. Und auch die Rollen sind noch klassisch verteilt: schuften, schleppen, laufen sieht man meist nur Frauen. Männer spielen Billard, hüten Büffel und transportieren mal etwas oder jemanden mit dem Moped. Die Mädchen und Frauen tragen die großen Lasten vornübergebeugt in Körben, die an ihren Stirnen auf dem Rücken hängen. Ältere Frauen sind dadurch so verformt, dass sie nicht mehr aufrecht gehen können.

Bereits in Hà Giang hatte ich schöne Begegnungen mit Kindern, die mir spontan eine Mango schenkten, nachdem ich ihnen einen Ast heruntergezogen hatte, und mit einem Zehnjährigen, der mich im Lokal seiner Eltern schwer mit seinen Englischkenntnissen beeindruckte und auf Trump schimpfte. Neben freudig winkenden Kindern und einem, der mir im Vorbeifahren eine High Five gab, begegnete ich auf meiner Tour aber auch einem Steinewerfer und einer Bande, die mir eine Banane aus dem Motorradfach klaute, als ich zum Fotografieren anhielt.

Die letzte Nacht verbrachte ich in einem Homestay bei einer Familie Roter Thais, die alle kein Wort Englisch sprachen und anscheinend auch nicht sehr erfahren mit internationalen Gästen waren. Zuerst war es mir etwas unheimlich, zumal die Oma des Hauses, die das Baby hütete, meine Kommunikationsversuche abblockte, und der Hausherr unnahbar war. Aber ich blieb, tapfer lächelnd, spazierte auf dem Grundstück umher, besuchte die Büffel im Stall und entdeckte einen Aussichtspunkt hinter dem Haus.

Nach und nach kamen auch die Damen des Hauses vom Feld heim, die mich sehr nett begrüßten und willkommen hießen. Und dann passierte etwas ganz Wunderbares: nämlich genau das, was passiert wäre, wenn ich nicht hier gewesen wäre. Es kamen immer mehr Menschen, ich verlor schnell den Überblick. Alle lächelten mich nett an und nickten mir zu. Zwei niedrige Tische wurden aufgestellt und nach und nach mit Speisen gefüllt. Dann wurden je vier niedrige Bänke drumherum gestellt und man bat mich, am Männertisch Platz zu nehmen.

Dort lernte ich, dass man mit jedem Reisschnaps (selbstgebrannt natürlich) trinken muss, der einen dazu einlädt. Und zwar nicht nur so ein bisschen nippen, sondern mit hinterher Glas umdrehen. Beim nächsten Mal lerne ich dann bitte, wie man verhindert, abgefüllt zu werden, ohne unhöflich zu sein oder sich zur Oma an die Seite zu setzen (was ich irgendwann aus Gründen der Selbstverteidigung tat). Aber es war großartig!

Am nächsten Morgen erwachte ich zu meiner großen Freude weder blind noch mit Kopfschmerzen und konnte mich so bald auf meine Weiterreisen machen.  

Vom Dorf aus folgte ich einem Weg, der mich zurück zur Hauptstraße bringen sollte und der laut Wegweiser durchgehend geteert war. Lachend fand ich mich einige Kilometer weiter wieder auf einer steilen Schotterpiste den Berg hinauf und fragte mich, wie ich das nun wieder gemacht hatte. Die Abenteuer wollen mich halt einfach nicht verlassen.



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