Mitten im abenteuerlichen Straßenverkehr Vietnams

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Vietnam gehört zu den 25 Ländern mit den meisten Verkehrstoten weltweit. Fünfmal mehr Menschen sterben hier jährlich auf der Straße als in Deutschland. Jetzt, da ich das Land inzwischen verlassen habe, kann ich euch das ja ruhig sagen (ne, Mama?). Trotzdem war ich in Vietnam so aktive Teilnehmerin im Straßenverkehr wie selten: Ich bin unerschrocken über die Straßen Saigons geschritten, habe mich mit dem Fahrrad durch die Rushhour Hanois gekämpft, bin mit dem Motorrad durchs vietnamesische Hinterland gekurvt, habe im Allrad Berge erklommen und mir im Liegebus blaue Flecken geholt. Nach all den Wochen hier, habe ich mir ein paar Erklärungen für die Statistik zusammengereimt.

Alternative Verkehrsregeln gibt es überall in Asien – das ist ja schon fast normal für mich. Beim Anfahren oder Abbiegen einfach mal in den Gegenverkehr starten, Ampeln als buntleuchtende Straßendeko sehen und Fahrstreifen? Ach, ich weiß auch schon nicht mehr, was die sollen. Bremsen muss man nicht so dringend – für solche Situationen hat man ja schließlich eine Hupe. 

Eine neue Qualität hatte der Verkehr in Vietnam dann doch: Vietnamesische FahrerInnen schauen sich niemals um, weder beim Anfahren oder Fahrspurwechsel, noch beim Abbiegen oder Drehen. Falls dort jemand ist (und die Chancen stehen ziemlich gut), wird die- oder derjenige schon ausweichen. Gleiches gilt für Fußgänger, die einfach mal beherzt drauflosgehen und plötzlich mitten auf der Fahrbahn sind. Der Trick ist bei beidem, gemächlich das eigene Tempo beizubehalten und bloß nicht anzuhalten. Das würde nur die Ausweicher verwirren.

Nachts fahren viele Fahrzeuge unbeleuchtet – was aber natürlich nicht in kausalem Zusammenhang mit ihrer Geschwindigkeit steht. Vietnamesen fahren überhaupt sehr schnell. Besonders die dauerhupenden Überlandbusse. Und besonders, wenn man den schlechten Zustand der Straßen und die schlecht gewarteten Fahrzeuge mit in Betracht zieht. Eine regelmäßige TÜV-Prüfung gibt es hier höchstwahrscheinlich nicht.

Auch alkoholisiertes Fahren scheint sehr verbreitet zu sein, wenn man die Ereignisse, die ich beobachtet habe, hochrechnet. Zumindest in Hanoi habe ich aber auch nächtliche Verkehrskontrollen und Alkoholtests gesehen und landesweit Plakate, die für das Thema sensibilisieren wollen. Es scheint also ein Problem zu sein, an dem gearbeitet wird.

In Myanmar erntete ich noch burmesisches Unverständnis, da ich auf ein Motorrad mit Spiegeln bestand. Wer braucht schon Spiegel und vor allem wozu? So weit bin ich inzwischen auch. In Vietnam retournierte ich jedoch tatsächlich in meinen ersten zwei Wochen ein Motorrad nach wenigen Kilometern, weil die Tankanzeige auf dauerleer stand und später ein anderes, weil die Öllampe feuerrot leuchtete. Beides fanden die Verleiher ungewöhnlich. Diese überdrehten Westler, tse. Solche Lappalien sind doch „no problem, no problem“. Ich stelle mich halt ein bisschen an. Im Zweifelsfall muss ich denen halt hinterher einfach ein neues Motorrad kaufen, wenn ich es bin, bei der es ganz kaputt geht, no problem.

Motorrädern stehen Kleintransportern im Puncto Geräumigkeit in nichts nach. Im Gegenteil, kann man die Transportfläche mit ein paar Seilen doch in alle Richtungen erweitern. Meine Rekordsichtung sind sechs Personen (drei Erwachsene, drei Kinder) auf einem Moped, aber ich zweifele nicht daran, dass da noch mehr geht. Und all die wundersamen Dinge, die transportiert und vor allem: gestapelt werden! Schubkarren, Zementsäcke, Eierpaletten, Bambusrohre, Holz, Plastikflaschen und Wasserkanister, Ventilatoren, vier tote Schweine, Hühner in Käfigen, Hühner ohne Käfige, ein lebendiges Schwein, drei Ziegen, Kühlschränke, neun große Pappkartons, umzählige Getränkekisten, zwei Regentonnen, meterhohe Vasen – kurzum alles, was von A nach B soll. (Sobald ich wieder einen Laptop habe – ja, meiner ist nun endgültig tot – stelle ich mal eine Fotosammlung zusammen. Fürs Erste nur so viel:)

Und dann die Helme, die man hier so trägt. Oder sollte ich sie eher als „Helme“ bezeichnen? Viele sehen aus, als würden sie den Kopf des Träger im Falle eines Falles null schützen, zumal sie selten passen oder gar der Kinngurt geschlossen ist. Beliebt sind Helme, die in modischen Farben und mit peppigem Design nussschalenmäßig nur auf dem Oberkopf sitzen. Es gibt auch Kopfbedeckungen mit modischer Auslassung für den Pferdeschwanz oder andere, die im Vietcong-Stil eher an Safari erinnern als an ein Überlebensaccessoir. Immerhin ist irgendetwas Hartes auf dem Kopf, denn das fordert das Gesetz. Für MitfahrerInnen gilt diese Regelung nicht.

An all das gewöhnte ich mich in meinen Wochen hier und passte mich an. Friss oder stirbt – und so gab ich meine Bedenken ab, um unerschrocken das Land zu erleben. Kurz vor Abreise sprach ich darüber mit einer Deutschen, die seit einigen Jahren in Vietnam arbeitet und hier nicht selbst Auto fährt. Nicht aus Angst, wie ich glaube, sondern aus Vernunft. Sie erinnerte mich daran, dass das hier eigentlich ein Spiel auf Leben und Tod ist – und es dabei nicht nur um mein Leben geht. Und tatsächlich: Kaum ein Tag ist vergangen, an dem ich nicht irgendwo einen Unfall gesehen hätte.

Wie ich – ausgerechnet ich! – hier so abgestumpft bin. Und es geht ja auch alles irgendwie. Jeder achtet auf das, was vor einem liegt und brettert so durch, passt schon noch. Und das hat es für mich. Als mich neulich ein Bekannter fragte, was das prägendeste Erlebnis bisher gewesen sei, sagte ich spontan: „Mit dem Motorrad mitten in der Rushhour Hanois zu stecken – und zu bestehen.“ Diese Herausforderung hat mir großen Spaß gemacht. Rückblickend wundere ich mich über meine eigene Kaltblütigkeit. Nach meinen vietnamesischen Fahrerfahrungen dürfte der Pariser Stadtverkehr auf jeden Fall kein Problem mehr sein. Wer leiht mir dafür sein Auto?



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