Als ich morgens auf der Pritsche lag und den Regen draußen rauschen hörte, hätte ich nicht gedacht, dass aus diesem Tag noch etwas werden könnte. Ganz so hatte ich mir mein Nepal-Abenteuer dann wohl doch nicht vorgestellt. Ja, ich hatte immer davon geredet, dass es hier oben in den Bergen kalt sein würde und ich dafür meinen Schlafsack und meine Fleecejacke brauchten würde. Doch hatte ich mir romantisch verklärt vorgestellt, zumindest in etwas zu schlafen, das ich als Haus bezeichnen würde. Das „Hotel“, in dem ich frierend eine zugige Nacht verbracht hatte, fiel nicht in diese Kategorie. Es war eine zweigeschossige Holzhütte, in der ich nicht aufrecht stehen konnte und durch deren Wände der kalte Wind pfiff.
Ich war auch nur hier gestrandet, weil das Tata (~Jeep), mit dem ich aus Kathmandu angereist war, die letzten 2 bis 2,5 Stunden Fahrt zu meinem Ziel nicht mehr fahren konnte, da die Straßen ab hier zu weich und der Pass verschneit waren. Daraufhin hatte ich mich geweigert, bei Starkregen und einsetzender Dunkelheit den Pass zu Fuß zu erklimmen und die Only-five-maybe-six-hours-Wanderung am Vorabend noch zu absolvieren. Vertrauenswürdige Quellen hatten mir nachdrücklich von diesem nächtlichen Himmelfahrtskommando abgeraten. Mit mir waren die Leiterin des Kinderhauses, das ich besuchen wollte und mit der ich aus Kathmandu angereist war, und die elf Kinder, die am Mittag über den Pass gekommen waren, um beim Tragen der Einkäufe zu helfen, gestrandet – denn alleine zurücklassen kann man so ein Bleichgesicht wie mich ja schließlich auch nicht.
Dem Regen lauschend, krabbelte ich aus meinem Schlafsack, darauf bedacht dabei nicht zufällig das Laken oder gar das Kissen zu berühren. Anziehen musste ich mich nicht, denn wie meine zwei jugendlichen Zimmergenossinnen hatte ich in meinen Klamotten geschlafen. Meine Habseligkeiten verpackte ich möglichst wasserfest, wohlwissend, dass keine Regenhülle der Welt gegen diesen Regen da draußen eine Chance hatte. Heimlich aß ich einen meiner letzten Not-Müsliriegel und trank eine kleine Dose Lassi, die noch vom Vortag übrig war. Ohne weiteres Frühstück verließen wir alle das Hotel – wo ich zu meiner Erleichterung feststellte, dass es inzwischen aufgehört hatte zu regnen.
Es ging sofort steil bergauf. Ich halte mich für einigermaßen wander-trainiert, aber mein Harz-Gestümpere schien mir in dieser Höhe nichts zu nutzen. Auch hatten der Müsliriegel und die zwei Schlucke Lassi keine Wirkung; ich fühlte mich dehydriert und unterzuckert als ich die Tritte und Stufen hinaufstolperte. Nach einer Viertelstunde überlegte ich, was wohl passieren würde, wenn ich einfach umfallen würde. Nach zwanzig Minuten schaltete sich mein Hirn gnädigerweise ab.
Noch unten im Dorf hatte man mir meinen Tagesrucksack abgenommen, so dass ich nur mich selbst den Hang hinaufschleppen musste. Damit war ich ausreichend beschäftigt. Irgendwann brach ich meinen letzten Wasservorrat an, den ich am Vortag eisern aufgespart hatte. In meiner Anstrengung nahm ich kaum wahr, dass auch meine Sherpas mit all ihren Kisten und Taschen Pausen brauchten und wir diese nicht nur für mich einlegten. Dem Teenager, der ohne zu jammern meinen großen Trekking-Rucksack den Hang hinauf trug, gehört meine Hochachtung!
Und dann machten wir für mich ganz überraschend Frühstückspause! Das Restaurant war wieder in einer einfachen kleinen, langgestreckten Holzhütte, die viel einladender aussah, als unser Nachtquartier. Ich trank das heiße Wasser, das mir vorgesetzt wurde, ohne zu fragen, ob es auch wirklich gekocht hatte, darauf vertrauend, dass meine Reisebegleiterin um meinen empfindlichen West-Magen wusste. Dazu gab es eine scharfe Nudelsuppe und meinen ersten nepalesischen Milchtee – lecker!
Und dieses Frühstück hatte Zauberkräfte! Vielleicht lag es aber auch an der Sonne, die sich langsam über die Berghänge schob, oder an dem Weg, der sich nun ein wenig abflachte. Egal, was es war: aus der Tortur wurde ein Genuss!
Ich konnte den herrlichen Ausblick auf die verschneiten Berggipfel und die mit Reis- und sonstigen Terrassen dekorierten Hänge genießen; ich freundete mich ein bisschen mit meinen großen und kleinen WanderbegleiterInnen an und freute mich des Lebens. Als wir die ersten Schneefelder erreichten, zeigte sich, dass Kinder weltweit gleich sind und mit Schnee schmeißen. Mir fiel dann ein, dass ich auch „happy holi“ rufen konnte (denn dieser Feiertag war heute), während ich den Jüngsten eine Prise Schnee entgegen warf. Das machte dann schnell die Runde und die Moral der Truppe blieb ausgezeichnet.
Wir erreichten den Deurali-Pass gegen Viertel nach zehn, eine sehr gute Zeit, wie mir versichert wurde. Damit kam auch unser Ziel in Sicht: Bhandar.
Für den Abstieg brauchten wir etwas länger als die Prophezeiung besagte, weil ich meine Kamera aus dem Rucksack (den ich endlich wieder selbst tragen durfte) geholt hatte und ständig stehen blieb. Oh, die Aussicht! Und dazwischen immer wieder die blühenden Rhododendronbäume (Bäume, ja, Bäume, keine mickrigen Büsche).
Unten im Kinderhaus angekommen wurde mir ein großartiger Empfang bereitet: die kleineren Kinder, die nicht mit über den Pass gekommen waren, standen wie die Orgelpfeifen aufgereiht am Tor und übergaben mir alle feierlich eine Rhododendronblüte. In Kürze hatte ich den ganzen Arm voll! Außerdem bekam ich noch drei Blütenketten umgehangen und wurde auf einen Ehrenplatz vorm Haupthaus geführt.
Dort bekam ich erst einmal etwas zu essen: Gebäck, Tee, Nudelsuppe und mehr Reis, als ich essen konnte. Die Kinder saßen auf einer Bank und Hockern mir gegenüber, damit sie mich besser sehen konnten, und knabberten auch Gebäck.
Lange Zeit zum Rumsitzen hatten wir aber nicht: die Nachbarn feierten nämlich Hochzeit. Und da gab es natürlich auch schon wieder etwas zu essen, klar.
Und getanzt wurde! Ich stand allerdings nicht lange am Rand, sondern war bald mittendrin und amüsierte die Anwesenden mit meinen ungewöhnlichen Bewegungen.
Irgendwann kam von irgendwoher Holi-Farbe – und niemand war mehr sicher. Zwar wird hier oben nicht mit Farbbeuteln geworfen – was für eine Verschwendung – aber bunt wird man dabei trotzdem.
Ein weiterer Höhepunkt stand aber noch bevor: ich solle noch etwas Wichtiges lernen. Ursprünglich um das Eis zu brechen (tse, ich Ahnungslose), hatte ich den Kindern als Geschenk Luftballons mitgebracht. Einer der Kleinen hatte ich dies bereits auf der Hochzeitsfeier erzählt und auf dem kurzen Heimweg sprach sich das schnell rum. Zurück am Kinderhaus warteten zehn Stöpkes aufgeregt darauf, dass ich die Ballons endlich aus meinem Rucksack kramte. Und dann durfte ich lernen, wie viel Spaß man bereits lange bevor so ein Ballon verknotet wird, damit haben kann! Man kann sie durch die Luft sausen lassen und kreischend hinterhersausen, zum Beispiel. Als ich ihnen dann zeigte, wie man sie pfeifen lässt, hatte ich endgültig zehn neue Freundinnen und Freunde. Langweilig wurde das Spiel nie. Auch als die ersten Ballons geplatzt waren, gab es noch genug zu tun.
Und dann gab es Abendessen! Mein erstes echtes Daal Bhaat Tarkari: Reis mit Gemüse und einer dünnem Linsensuppe dazu. Köstlich! Das wird mir in meiner Woche hier bestimmt nicht über. Ich freue mich darauf!
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Dieser Artikel wurde inspiriert von der Aktion #12von12, bei der Blogger dazu aufgerufen sind, den 12, eines Monats mit 12 Fotos zu dokumentieren.